Ich bin eine in den USA lebende heterosexuelle, cis-geschlechtliche weiße Frau. Ich schreibe diesen Artikel in der Hoffnung, dass andere sich in meinen Erfahrungen wiedererkennen können, einschließlich aller Personen, die sich, ähnlich wie ich, in dem gegenwärtigen patriarchalen System benachteiligt und unterdrückt fühlen. Mein Ziel ist die Unterstützung und Stärkung anderer. Ich habe es satt, Angst zu haben und auf Zehenspitzen um die wahrgenommenen Erwartungen einer Gesellschaft zu gehen, die auf die Bedürfnisse von heterosexuellen, weißen Cis-Männern ausgerichtet ist.
Ich wurde als echtes, lebendes Menschenkind aus Fleisch und Blut und Knochen geboren. Ich wurde mit Scheide geboren.
Wie die meisten Menschen, die in den letzten paar Jahrtausenden auf diesem Planeten geboren sind, bin ich in einem patriarchalen System geboren. Einfach gesagt beruht ein patriarchales System auf der Überzeugung, dass Männer mehr Macht besitzen und deutlich mehr Wert haben als andere bzw. als Frauen. Ich werde nicht erläutern, wie sich dies im System ausdrückt, aber ich behaupte, dass die Abwertung von Frauen als Frauenfeindlichkeit empfunden werden kann, und dass die Mitglieder eines solchen Systems dazu tendieren, ihre eigenen Versionen der verinnerlichten Frauenfeindlichkeit zu entwickeln. Das war auch bei mir der Fall. Ich fing im Alter von 4 Jahren damit an, mein Äußeres zu kritisieren. Außerdem hatte ich von jung an das Gefühl, dass mir etwas fehlte, dass ich Bestätigung von außen brauchte, um mein Dasein zu rechtfertigen. Kurz gesagt brauchte ich eine männliche Figur, die mir bestätigt, dass ich schön und wichtig bin und somit das Recht hatte, Platz einzunehmen.
Ich möchte hier betonen, dass dies meine eigene Version der verinnerlichten Frauenfeindlichkeit ist. Für andere mag sie anders sein. Welchen Ton die verinnerlichte Frauenfeindlichkeit auch immer einnimmt, beabsichtigt sie, eine bestimmte Reihe von Verhaltensweisen und Einstellungen von uns zu erzwingen, um Sicherheit für uns zu erzielen. Die Sicherheit kann sich u.a. körperlich, finanziell, seelisch oder als Sicherheit durch Verbindung mit bestimmten Leuten ausdrücken.
Jede Version der verinnerlichten Frauenfeindlichkeit hat ihre eigenen Regeln, Zwänge oder Introjektionen. Diese Introjektionen werden als Ganzes verschluckt, ohne verdaut zu werden, und werden automatisch Teil der Identität der Person. Sie werden Teil des inneren Betriebssystems der Person.
Mein inneres frauenfeindliches Betriebssystem versucht ständig, folgende Fragen zu beantworten:
- Wird er mich lieben?
- Wird er mich akzeptieren?
- Findet er mich schön?
- Sieht er etwas in mir?
- Wird er zu mir zurückkommen?
"Er“ bezieht sich auf den jeweiligen Mann, der mir gerade wichtig ist. Und es handelt sich immer um einen Mann, weil das Patriarchat besagt, dass Bestätigung von Frauen weniger zählt. Für mich ist es oft schwierig, zwischen sexueller Anziehung und dem Bedürfnis nach männlicher Bestätigung zu unterscheiden. Die beiden verschmelzen und die Grenzen verschwimmen.
Ich erkenne an, dass diese Fragen auf eine Sehnsucht nach Liebe und Verbundenheit hindeuten, die grundsätzlich menschlich ist, und doch hat das Ausmaß der Abhängigkeit meines Selbstwertgefühls von diesen Fragen mich teilweise schwer beeinträchtigt. Meinem Empfinden nach ist diese Beeinträchtigung von Frauenfeindlichkeit getränkt.
Mein inneres frauenfeindliches Betriebssystem verlangt außerdem ständig folgendes von mir:
- Sei freundlich, höflich und still
- Sei attraktiv nach vorgegebenen Maßstäben
- Sei sexy
- Drücke deine Sexualität so viel und so oft wie möglich aus, aber nur solange dein Partner das gutheißt
- Sexualisiere deinen Körper, auch wenn du allein bist, um nicht aus der Übung zu kommen
- Übernimm in deinen Beziehungen die Verantwortung für den Großteil wenn nicht die Gesamtheit der Emotionsarbeit
- Sorge dafür, dass du für deinen Finger einen von diesen Ringen bekommst
- Habe einen starken Wunsch, jemanden zu bemuttern und zu pflegen
- Bekomme Kinder und sei deren hauptsächliche Bezugsperson
- Iss niemals allein
- Werde niemals alt
- Gehe trotz alledem sehr selbstbewusst mit deinem Körper, Charme und deinem Selbstwert um, aber nur dann, wenn Zustimmung oder Verlangen in Form eines männlichen Blickes besteht
Und ich habe mich jahrzehntelang bemüht, mich an alle diese Regeln zu halten. Ich habe mich wirklich sehr bemüht.
Während ich dies schreibe, schäme ich mich—ich schäme mich dafür, dass ich zu der bereits bestehenden Frauenfeindlichkeit beitrage, dass ich es nicht besser geschafft habe, dies alles loszuwerden, dass mich solche Schwierigkeiten plagen, dass ich mich nicht eher oder mehr widersetzt habe. Ich glaube auch, dass dieses Schämen teilweise verinnerlichte Frauenfeindlichkeit darstellt—die Idee, dass ich allein die Verantwortung dafür trage, dass ich mich beeinträchtigt fühle oder diese Beeinträchtigung abzuschütteln.
Nachdem ich am Abend der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl von 2016 bei einer Freundin die Ergebnisse verfolgt hatte, fing ich auf dem Weg nach Hause an zu weinen. Ich weinte, weil ich das Gefühl hatte, das die Vereinigten Staaten mir gerade preisgegeben hatten, was sie in meiner Rolle als Frau tatsächlich von mir halten, dass sie mir gezeigt hatten, dass jeder Mann, egal wie unvernünftig oder fehlgeleitet, mehr Wert hat als die kompetenteste Frau. Dann wurde mir klar, dass dieses Gefühl mir überhaupt nicht neu war, sondern dass ich mein Leben lang mit diesem Gefühl von Minderwertigkeit gelebt hatte, aber dass ich es als normal, natürlich und als Teil von MIR angesehen hatte. Ich hatte gedacht, dass das Leben nun mal so sei, weil ich nichts anderes kannte. Aber nun konnte ich ganz klar sehen, dass dieses schreckliche Gefühl in mir, mit dem ich mein Leben lang gelebt hatte, von außen eingeflößt kam. Es war so, als könnte ich endlich meine eigene verinnerlichte Frauenfeindlichkeit als externalisiert ansehen, und somit konnte ich sie dort zurücklassen: außerhalb von mir.
Ich sah mich als Marionette, deren Fäden abgeschnitten worden waren. Ich betrachtete meine Arme und Beine und ja, auch meine Scheide, und ich fragte mich, was ich damit alles anstellen könnte, falls ich mich frei bewegen könnte. Als ich meinem Vater dieses Bild beschrieb, sagte er „Aber eine Marionette ohne Fäden bricht doch zusammen.“ Die Symbolik in der Tatsache, dass diese Worte von meinem Vater kamen, ist mir nicht entgangen: Hier war ein Mann, der andeutete, wenn auch indirekt, dass ein Mensch in meiner Position von einer größeren Macht gesteuert werden müsse. Und seine Bemerkung gab mir zu erkennen, dass meine Fäden schon vor mehreren Jahren abgeschnitten worden waren und dass ich seitdem teilweise zusammengebrochen am Boden lag. Vor mehreren Jahren hatte ich zum ersten Mal erkannt, wie stark mich das patriarchale System beeinträchtigte. Und ich hatte mir damals vorgenommen, mich nicht mehr von diesem System lenken zu lassen. Die patriarchalen Fäden hatten viele meiner Bewegungen kontrolliert, aber ohne sie war ein Großteil von mir zusammengebrochen und lag nun bewegungslos am Boden. Diese Bewegungslosigkeit wirkte sich hauptsächlich auf meine Sexualität und Kreativität aus.
Als ich mich mit einer fadenlosen, zusammengebrochenen Marionette verglich, fiel mir ein, dass einiges in meinem Leben vor mehreren Jahren nachgelassen hatte und in manchen Bereichen sogar zum Stillstand gekommen war. Ich hatte aufgehört, mit anderen zusammen zu tanzen. Ich hatte aufgehört, regelmäßig mit anderen Menschen Sex zu haben. Ich hatte aufgehört zu schreiben. Ich hatte mit vielen Dingen aufgehört, die mir vorher Spaß machten, besonders solche, in denen ich auf Grundlage meines Aussehens oder meiner Vorgehensweise bewertet oder als Objekt behandelt werden könnte.
Doch selbst in dieser Bewegungslosigkeit gehörte mein Leben immer noch einem Mann, der mich lieben könnte, einem Mann, der meiner Existenz Sinn geben könnte. Ich glaubte immer noch, dass ich eine männliche Figur brauchte, um mich vor der Minderwertigkeit meiner Weiblichkeit zu retten. Ich wartete immer noch darauf, dass mich jemand zum Leben erweckte. Auch nachdem ich angefangen hatte, mich dem Patriarchat zu widersetzen, bestand diese Einstellung weiter. Auf diese Weise lebte das Patriarchat mithilfe meiner eigenen Version der verinnerlichten Frauenfeindlichkeit in meinem Inneren weiter.
Aber als ein erklärter Frauenfeind die Präsidentschaftswahl gewann, nahm ein bekanntes Konzept neue Bedeutung an: Man kann niemanden ändern, nur sich selbst. Und es war mir selbst überlassen, mich wertzuschätzen. Es war mir endlich so klar wie nie zuvor, dass mein eigenes Menschsein wichtiger ist als die Anerkennung, Bestätigung und Absicherung durch ein männlich dominiertes System. Mir war nun klar, dass ich mich aus dieser Bewegungslosigkeit aufrichten musste. Die Person, die auf die Illusion hereingefallen war, Marionette zu sein, kam ohne Fäden wieder zum Leben und erinnerte sich daran, dass sie als echter, lebender Mensch mit Seele zur Welt gebracht worden war. Einen Moment lang hörte die Frauenfeindlichkeit von innen und von außen auf, mich zu bestimmen, und ich verspürte ein gewaltiges Gefühl von Freiheit. Meine Trennung von der Frauenfeindlichkeit mag zwar nicht endgültig und wird vielleicht nie abgeschlossen sein, aber das Erlebnis am Wahlabend war für mich ein großer Schritt in Richtung Freiheit.
Ich weiß jetzt ganz bestimmt, dass meine Empfindungen—meine Versklavung als auch meine Bewegungslosigkeit—nicht in Ordnung waren. Und sie waren nicht natürlich. Sie ergaben sich aus einem kaputten System. Und das heißt nicht, dass ich selbst kaputt bin. Ich bin keine Marionette. Ich bin ein echter Mensch. Ich bin lebendig. Ich bin ich selbst. Mein Körper gehört mir. Mein Leben gehört mir. Ganz ohne Fäden.
Das Patriarchat mag zwar diese Wahl gewonnen haben, aber ich habe auch gewonnen. Jeden Tag bewege ich mich auf die Freiheit zu und weg von der verinnerlichten Frauenfeindlichkeit.
Das Patriarchat mag mich zwar weiterhin einschränken, zum Schweigen bringen und misshandeln, aber ich verpflichte mich dazu, nicht mehr von innen heraus an dieser Unterdrückung mitzuwirken.
Ich möchte nicht behaupten, dass der Vorgang der andauernden Durchtrennung der patriarchalen Fäden einfach oder ungefährlich ist, oder dass es überhaupt möglich ist, sich völlig von ihnen zu befreien. Damit das letztere passieren kann, muss sich das System um euch herum ebenfalls ändern. Andernfalls ist die Befreiung von diesen Einschränkungen mit deutlichen Risiken verbunden, und man braucht Unterstützung. Seid deswegen nett zu euch, falls ihr euch nicht sicher genug fühlt, einzelne oder alle Fäden zu durchtrennen.
Und falls ihr bereit seid und Interesse habt, euch mitzuverpflichten, sind hier fünf Schritte, die ihr heute gegen das Patriarchat unternehmen könnt:
1. Achtet darauf, wie und wo eure eigenen patriarchalen Fäden befestigt sind.
2. Überlegt, wie ihr euch weigern könntet, eure Handlungen, Haltungen und Gedanken von diesen Fäden beeinflussen zu lassen.
3. Umgebt euch mit Leuten, die eure Befreiung und Stärke befürworten.
4. Passt gut auf euch auf, denn diese Aufgabe ist kompliziert und riskant.
5. Denkt daran, dass ihr nicht allein seid.
Vera Fleischer arbeitet als lizenzierte Psychotherapeutin am Bay Area Gestalt Institute in San Francisco. Mehr Info über Vera und ihre Praxis gibt es bei www.verafleischer.com